Am 9. November blicken wir zurück auf eine Zeitachse deutscher Geschichte, die sowohl von dunklen als auch von strahlenden Momenten gezeichnet ist. Dieses Datum ist wie ein zweischneidiges Schwert, das sowohl tiefe Wunden geschlagen hat als auch Türen zu Freiheit und Gerechtigkeit aufstieß.
1918 war es Philipp Scheidemann, der vom Balkon des Reichstags die Deutsche Republik ausrief und damit den Grundstein für die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland legte. Es war ein mutiger Schritt hin zu einer neuen Ordnung, weg von der konstitutionellen Monarchie, und ein Moment, der Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung gab.
Doch nur 20 Jahre später, 1938, wurde der 9. November zum Synonym für eine der schrecklichsten Nächte in der Geschichte Deutschlands. Die Reichspogromnacht stand für den unverhohlenen Hass, der sich in Gewalt gegen jüdische Bürger entlud: Geschäfte wurden zerstört, Synagogen brannten, und viele Menschen wurden ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt. Diese Nacht war der Vorbote einer unfassbaren Tragödie, des Holocausts, der Millionen von unschuldigen Leben fordern sollte.
Auch in der politischen Geschichte Deutschlands ist der 9. November markant: 1923 der Hitlerputsch, der zwar scheiterte, aber dennoch zeigte, wie fragile die junge Demokratie noch war, und 1848 die Hinrichtung von Robert Blum, einem Märtyrer der Demokratie und der Freiheit.
Doch 1989 war es wieder der 9. November, der uns einen der glücklichsten Momente in der jüngeren Geschichte brachte. Mit dem Fall der Berliner Mauer begann das Ende der deutschen Teilung und setzte das Zeichen für das Ende des Kalten Krieges und der kommunistischen Diktaturen in Europa.
Der 9. November ist somit ein Tag des Nachdenkens und der Besinnung. Er ist ein Lehrstück über die Zerbrechlichkeit der Freiheit und der Demokratie, aber auch über die Stärke und den Mut, die es braucht, um diese zu verteidigen. In unserer heutigen Zeit, in der Antisemitismus und Intoleranz leider immer noch präsent sind, mahnt uns dieses Datum, wachsam zu sein und uns für eine Gesellschaft einzusetzen, die auf Toleranz, Respekt und Vielfalt baut. Wir müssen aus unserer Geschichte lernen und dürfen nicht zulassen, dass die Fehler der Vergangenheit sich wiederholen.
Der 9. November fordert uns auf, zu gedenken und zu handeln. Er fordert uns auf, einander zuzuhören und voneinander zu lernen. Er ist ein Tag, der uns vereint in der Trauer um das, was verloren ging, und in der Freude über das, was gewonnen wurde. Lasst uns diesen Tag als Chance begreifen, um gemeinsam für eine Zukunft zu arbeiten, in der Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit die dunklen Seiten unserer Geschichte überstrahlen.