Kürzlich fuhr ich durch das beschauliche Brandenburg, wo ich auf handgefertigte Schilder stieß, die „Original-DDR-Softeis“ und „Original-DDR-Kuchen“ bewarben. Was zunächst wie eine harmlose Nostalgie anmutet, regte mich zum Nachdenken an: Hier wird eine Vergangenheit romantisiert, die für viele Menschen von Repression und Unfreiheit geprägt war. Diese Ostalgie, die oft mit einer Verklärung der DDR-Zeit einhergeht, birgt jedoch eine tiefe Gefahr. Sie droht, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu untergraben und das Vertrauen in unsere demokratische Gesellschaft zu erodieren.
Die tiefe Sehnsucht nach der vermeintlich besseren Vergangenheit
Diese Ostalgie ist mehr als nur eine harmlose Erinnerung an vergangene Zeiten. Sie ist Ausdruck eines tieferliegenden Gefühls der Entfremdung und der Unzufriedenheit, das viele Menschen in Ostdeutschland empfinden. Die DDR wird in der Erinnerung vieler als eine Zeit der sozialen Sicherheit und Stabilität gesehen, während die Umbrüche nach der Wende oft als schmerzhaft und verlustreich erlebt wurden. Doch diese nostalgische Verklärung birgt die Gefahr, die komplexen Realitäten der Gegenwart zu verkennen und die tatsächlichen Errungenschaften seit der Wiedervereinigung zu übersehen.
Der wachsende Extremismus und seine Wurzeln
In den letzten Jahren hat sich diese Ostalgie mit einem gefährlichen Rechtsruck verbunden. Bei den jüngsten Wahlen in Thüringen und Sachsen haben über eine Million Menschen für eine rechtsextreme Partei gestimmt. Diese Entwicklung ist ein Alarmsignal, das uns aufzeigen muss, wie tief die Enttäuschung und das Misstrauen gegenüber dem politischen System in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung verwurzelt sind. Besonders alarmierend ist, dass dieser politische Extremismus zunehmend von jüngeren Generationen unterstützt wird – denjenigen, die die DDR selbst gar nicht mehr erlebt haben, aber dennoch in einem Umfeld aufwachsen, das stark von den Narrativen dieser Zeit geprägt ist.
Diese Wähler suchen einfache Antworten auf ihre komplexen Probleme. Sie fühlen sich von den etablierten Parteien, insbesondere auch von der SPD, nicht mehr vertreten. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und in die Fähigkeit der Politik, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, ist stark erschüttert.
Der Mythos der Benachteiligung und die Rolle der SPD
Ein zentrales Narrativ, das diesen Rechtsruck befeuert, ist das Gefühl, als Ostdeutscher „zu kurz gekommen“ zu sein. Diese Wahrnehmung, die seit der Wendezeit immer wieder betont wird, hat in vielen Regionen eine tiefe Verbitterung hinterlassen. Doch die SPD, einst die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Aufstiegs für die Arbeiterklasse, scheint in diesen Regionen den Zugang zu den Wählern verloren zu haben. Warum?
Die Menschen in Ostdeutschland fühlen sich oft als „Bürger zweiter Klasse“, und das nicht ohne Grund. Die ökonomische Angleichung zwischen Ost und West ist auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht abgeschlossen. Während die infrastrukturellen Fortschritte in vielen Regionen sichtbar sind, bleibt das Gefühl, dass die politische und wirtschaftliche Macht weiterhin in westdeutscher Hand liegt. Die SPD hat es in den letzten Jahren versäumt, dieses Gefühl ernsthaft aufzugreifen und glaubwürdige Lösungen anzubieten.
Ein neues Angebot der SPD für Ostdeutschland
Was muss die SPD tun, um wieder eine wählbare Alternative für die Menschen in Ostdeutschland zu werden? Zunächst einmal muss sie das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen, indem sie auf ihre spezifischen Sorgen und Nöte eingeht. Die SPD muss sich als Partei präsentieren, die die besonderen Herausforderungen in Ostdeutschland erkennt und ernst nimmt.
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Wirtschaftliche Perspektiven schaffen
Die SPD sollte ein umfassendes Programm zur wirtschaftlichen Stärkung der strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland entwickeln. Das bedeutet nicht nur, bestehende Unternehmen zu unterstützen, sondern auch aktiv neue Industrien anzusiedeln, die auf die spezifischen Stärken und Ressourcen der Region abgestimmt sind. Die Förderung von Start-ups und kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) könnte hierbei eine wichtige Rolle spielen, ebenso wie Investitionen in die Infrastruktur – insbesondere in die digitale Infrastruktur, die vielerorts noch stark hinterherhinkt. -
Bildung und Qualifizierung
Ein zentrales Element dieses Programms sollte auch die Verbesserung der Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten sein. Hierbei geht es nicht nur um den Ausbau von Schulen und Universitäten, sondern auch um die Schaffung von Weiterbildungsangeboten für Erwachsene, die ihre beruflichen Chancen verbessern wollen. Die SPD muss deutlich machen, dass sie für den Aufstieg durch Bildung steht – ein Wert, der in der ostdeutschen Bevölkerung traditionell hochgehalten wird. -
Stärkung der sozialen Sicherheit
Die SPD muss sich zudem wieder verstärkt als die Partei der sozialen Sicherheit positionieren. Viele Menschen in Ostdeutschland fühlen sich durch die sozialen Einschnitte der letzten Jahrzehnte verunsichert. Eine Reform des Sozialsystems, die Sicherheit und Würde in den Mittelpunkt stellt, könnte hier ein Schlüssel sein. Besonders wichtig wäre ein Rentensystem, das die Lebensleistung der Menschen in Ostdeutschland anerkennt und ihnen im Alter eine sichere Existenz gewährleistet. -
Kulturelle Anerkennung und Identität
Die SPD sollte sich auch mit der Frage der kulturellen Identität in Ostdeutschland auseinandersetzen. Es geht darum, die besondere Geschichte und die Lebensleistungen der Menschen in der ehemaligen DDR zu würdigen, ohne in eine unkritische Verklärung der Vergangenheit zu verfallen. Ein Dialog über die DDR-Geschichte, der die Erfahrungen der Menschen ernst nimmt, könnte dazu beitragen, das Gefühl der Benachteiligung zu mindern. -
Demokratische Bildung und Beteiligung
Angesichts des erstarkenden Extremismus muss die SPD die Förderung demokratischer Bildung und Beteiligung in den Vordergrund rücken. Dies könnte durch Programme geschehen, die politische Bildung fördern, aber auch durch Initiativen, die die Bürger stärker in politische Entscheidungsprozesse einbeziehen. Die SPD sollte zeigen, dass sie die Sorgen der Menschen ernst nimmt und ihnen eine echte Mitsprache ermöglicht.
Konsequenzen und die Zukunft der SPD in Ostdeutschland
Die SPD steht vor der großen Herausforderung, das verlorene Vertrauen der ostdeutschen Bevölkerung zurückzugewinnen. Dafür muss sie nicht nur ihre politischen Inhalte schärfen, sondern auch ihre Kommunikationsstrategie anpassen. Es reicht nicht mehr, allgemeine Versprechungen zu machen. Die SPD muss konkret werden und zeigen, dass sie bereit ist, sich für die spezifischen Bedürfnisse und Sorgen der Ostdeutschen einzusetzen.
Die Partei sollte sich dabei auf ihre Wurzeln besinnen und klarstellen, dass sie für soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und die Förderung der Demokratie steht – Werte, die in Ostdeutschland von zentraler Bedeutung sind. Wenn es der SPD gelingt, ein glaubwürdiges und konkretes Angebot zu machen, das den Menschen in Ostdeutschland Perspektiven bietet, könnte sie wieder zu einer starken politischen Kraft in der Region werden.
Ein Appell für eine gemeinsame Zukunft
Die Herausforderungen, vor denen Ostdeutschland steht, sind nicht isoliert zu betrachten. Sie sind Teil der größeren Fragen, die unsere Gesellschaft als Ganzes bewegen: Wie können wir sozialen Zusammenhalt stärken? Wie können wir eine wirtschaftliche Entwicklung fördern, die niemanden zurücklässt? Und wie können wir die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen?
Die Antwort auf diese Fragen kann nicht in einer nostalgischen Verklärung der Vergangenheit liegen, sondern nur in einem gemeinsamen, zukunftsgerichteten Handeln. Es ist an der Zeit, die Differenzen zwischen Ost und West zu überwinden und zusammen an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Die SPD hat hier eine historische Verantwortung und eine große Chance: Sie kann die Partei sein, die Brücken baut und die Menschen vereint, um die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft erfolgreich zu meistern.
Indem die SPD ein umfassendes und konkretes Programm entwickelt, das die spezifischen Bedürfnisse Ostdeutschlands anspricht, kann sie nicht nur verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, sondern auch einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie in ganz Deutschland leisten. Denn letztlich geht es darum, dass alle Menschen in diesem Land, unabhängig von ihrer Herkunft, die gleichen Chancen und Perspektiven haben sollten.
Ihr Bernd Wroblewski