Manchmal gibt es Momente, die alles verändern. Für mich war das der Herbst 1982, als das konstruktive Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt die politische Landschaft auf den Kopf stellte. Ich saß damals vor dem Fernseher, noch jung, aber neugierig auf die Welt der Politik, und konnte nicht fassen, wie zerbrechlich und zugleich kraftvoll Demokratie sein kann. Dieses Erlebnis hat mich geprägt und in die Politik geführt. Seitdem habe ich nicht nur zahlreiche Bundestagswahlen miterlebt, sondern auch aktiv mitgestaltet – mit Leidenschaft und der Überzeugung, dass man Dinge verändern kann, wenn man sich engagiert.
Der Fokus auf Köpfe statt Inhalte
In den letzten Tagen beobachte ich, wie stark sich der politische Diskurs verändert hat. Während es früher bei Auseinandersetzungen um konkrete Politik, Reformen und Ideen ging, scheint heute viel mehr von Personen und deren öffentlichem Bild abzuhängen. Aktuell zeigt sich das besonders deutlich: Die Diskussionen drehen sich vor allem um die Beliebtheit von Politiker:innen, um mediale Wahrnehmung, um persönliche Ausstrahlung.
Man kann sich schon fragen: Warum sollte es für die Wahlentscheidung entscheidend sein, ob jemand eine Glatze hat, eine randlose Brille trägt oder auf dem Beliebtheitsbarometer weiter oben steht? Was bringt es, stundenlang über innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten zu spekulieren, wenn dabei die wichtigen Themen in den Hintergrund geraten?
Früher und heute – ein Wandel im Diskurs
Als ich 1982 in die SPD eintrat, wurden Debatten anders geführt. Natürlich gab es damals auch Machtkämpfe und Intrigen, aber sie waren oft inhaltlich aufgeladen. Man diskutierte leidenschaftlich über den NATO-Doppelbeschluss, die soziale Marktwirtschaft oder den Stellenwert der europäischen Integration. Heute scheint vieles durch einen Filter aus Oberflächlichkeit wahrgenommen zu werden. Medien und Öffentlichkeit konzentrieren sich immer stärker darauf, wie jemand auftritt, wie er oder sie auf andere wirkt – und immer weniger darauf, wofür diese Person steht.
Das erschwert es, über die drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu sprechen: die wachsende soziale Ungleichheit, den Kampf gegen den Klimawandel, den Schutz unserer Demokratie in einer Welt, in der autoritäre Kräfte zunehmen. Diese Themen erfordern tiefgründige Diskussionen, klare Standpunkte und mutige Ideen.
Die Bedeutung von Inhalten
In den 40 Jahren, die ich nun politisch aktiv bin, habe ich viele Wahlen miterlebt – aufregende, schwierige und richtungsweisende. Jede hatte ihre eigenen Schwerpunkte. Bei der Wahl 1990 ging es um die Wiedervereinigung, 1998 erlebten wir eine Aufbruchsstimmung mit Gerhard Schröder, und 2009 prägte die Finanzkrise die Agenda. Damals wie heute hat mich eine Sache immer geleitet: die Überzeugung, dass Politik mehr ist als eine Frage von Personen. Es geht darum, wofür wir stehen und welche Zukunft wir gestalten wollen.
Gerade jetzt, in einer Zeit, in der die Herausforderungen größer denn je erscheinen, sollten wir diese Grundhaltung nicht verlieren. Die nächste Wahl ist eine Gelegenheit, den Fokus zurück auf die wirklich relevanten Fragen zu richten: Wie können wir unsere Gesellschaft gerechter machen? Wie begegnen wir der Klimakrise? Und wie stellen wir sicher, dass die Demokratie auch für kommende Generationen ein belastbares Fundament bleibt?
Eine Lektion aus vier Jahrzehnten
Die letzten 40 Jahre haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, immer wieder an die Kraft der politischen Teilhabe zu glauben. Politik ist nicht perfekt, sie ist oft mühsam und voller Rückschläge. Aber sie bleibt das wichtigste Instrument, das wir haben, um unsere Welt zu gestalten.
Wenn ich heute auf den aktuellen Wahlkampf blicke, wünsche ich mir, dass wir weniger darüber sprechen, wer antritt, sondern mehr darüber, wofür jemand antritt. Dass wir wieder den Mut finden, die wirklich großen Fragen zu stellen, statt uns in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Denn am Ende zählt nicht, ob ein Kanzlerkandidat charismatisch ist, sondern ob er oder sie die richtigen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit hat.
Und das ist es, was mich nach 40 Jahren immer noch antreibt: der Glaube daran, dass Veränderung möglich ist – durch Ideen, durch Inhalte, durch Überzeugung. Die nächsten Monate bieten uns allen die Chance, genau dafür einzutreten. Nutzen wir sie.