Die Propaganda des Steuerzahlergedenktags
Herr Holznagel, eines muss man Ihnen gestehen: Sie sind ein Meister der Propaganda. Heute schreibt die ganze Pressewelt wieder über Ihren Bund der Steuerzahler. Anlass: Der sogenannte Steuerzahlergedenktag. Bis zum heutigen Tag haben demnach die Deutschen im Durchschnitt gearbeitet, um ihre Steuern und Sozialabgaben an den Staat zu zahlen. Die Botschaft, die Sie vermitteln möchten: der gierige Staat ist eine Last für die rechtsschaffenden Bürger, nimmt ihnen das hart erarbeitete Geld weg – und verschwendet es. Dabei ist die Berechnung hinter dem Steuerzahlergedenktag aus mehreren Gründen falsch und manipulativ.
Die Fehlberechnung des Steuerzahlergedenktags
Um den Gedenktag zu berechnen, beziehen Sie sich auf die Einkommensbelastungsquote, also den Anteil von Steuern und Abgaben im Verhältnis zum Volkseinkommen. Die Quote liegt bei 52,6 Prozent, daraus ergibt sich aufs Jahr gerechnet der 11. Juli. Nur ist das Volkseinkommen die falsche Größe. Denn beim Volkseinkommen sind alle indirekten Steuern, zum Beispiel die Mehrwertsteuer, die Grundsteuer oder die KFZ-Steuer, schon abgezogen. Einfache Mathematik: Wenn diese Steuern beim Zähler berücksichtigt werden, aber beim Nenner nicht, ist das Ergebnis nach oben verfälscht. Richtig wäre das Nettonationaleinkommen zu nehmen. Dann allerdings wäre das Ergebnis ein paar Prozentpunkte kleiner, weil der Nenner sich vergrößert. Bitter für Ihre Propaganda: das Ergebnis wäre unter der 50-Prozent-Marke. Ihrer Empörung, Herr Holznagel, wonach „mehr als die Hälfte“ an Steuern und Abgaben „zu viel“ seien, wäre damit die Grundlage genommen.
Der Staat als Dienstleister, nicht als Schmarotzer
Das Framing „bis zum Juli nur für Steuern und Abgaben arbeiten“ suggeriert, dass der Staat die gezahlten Steuern für sich selbst verwendet und verschlingt. Der Staat stellt aber öffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge her: Schulen, Brücken, Krankenhäuser, Richter, Polizisten, Lehrer und so weiter. Ohne Daseinsvorsorge würde Gesellschaft nicht funktionieren. Wenn jeder seine eigenen Straßen bauen müsste, keine Polizisten für Ordnung sorgten und die Krankenhäuser nach der Kreditkarte fragten – was wäre das für eine Welt? Es ist leicht, den Staat als Schmarotzer darzustellen, aber ohne die von ihm erbrachten Dienstleistungen wäre unser Leben erheblich komplizierter und teurer.
Die Irreführung durch die Einbeziehung der Sozialabgaben
Auch das Einbeziehen der Sozialabgaben in Ihre Berechnung ist irreführend. Aus der Rentenversicherung etwa ergibt sich doch ein individueller Rentenanspruch. Das Geld verschwindet nicht beim Staat, wie Sie mit Ihrer Berechnung suggerieren. Würde man die Rentenversicherung herausrechnen, würde die Belastungsquote noch weiter sinken, vielleicht sogar knapp unter 40 Prozent. Dann wäre der Steuerzahlergedenktag schon im Mai! Diese Verschleierung zeigt, dass Ihr Ziel nicht die objektive Information der Bürger ist, sondern die emotionale Mobilisierung gegen staatliche Abgaben.
Die Missachtung staatlicher Selbstbesteuerung
Ihre Quote berücksichtigt nicht, dass der Staat auch Steuern an sich selbst zahlt. KFZ-Steuer für seine Fahrzeuge, Grundsteuer für seine Häuser, Mehrwertsteuer auf seine Einkäufe. Richtigerweise müsste man diese rund 80 Milliarden Euro aus der Berechnung ausklammern, dann wäre die Belastungsquote noch ein bisschen kleiner. Aber solche Details passen nicht in Ihre narrative Vereinfachung, die den Staat als unersättlichen Steuerverschwender darstellt.
Ein Fazit: Der Steuerzahlergedenktag als neoliberales Propagandawerk
All diese Fakten, die jeder Fünftklässler mathematisch versteht, werden Sie aber nicht interessieren, Herr Holznagel. Weil Sie den Gedenktag als Tax Freedom Day von anderen neoliberalen Thinktanks abgekupfert haben, halten Sie daran fest – komme an Kritik, was wolle. Sie leiten eben auch nur eine Lobbytruppe, verpackt in einen gemeinnützigen Verein, dessen Name klingt wie eine seriöse öffentliche Institution. Anders gesagt: Sie sind ein Wolf im Schafspelz. Über die kalte Progression bei der Einkommensteuer empören Sie sich regelmäßig, gegen den Solidaritätszuschlag klagen Sie sogar. Die Forderung, kleine Einkommen zu entlasten, oder Grundnahrungsmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien, hört man hingegen von Ihnen nie. Auch nicht, welche Privilegien Reiche und Erben im Vergleich zu Niedriglöhnern genießen. Das allein zeigt, für wen Sie lobbyieren. Nicht für alle Steuerzahler, sondern für Spitzenverdiener und Unternehmen.
In der Presse fällt all diese Kritik heute unter den Tisch. Das ist ein schlechtes Zeugnis für die Presse und die Öffentlichkeit. Und zeigt: Solange Ihre neoliberale Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt, Herr Holznagel, ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.